45.000.000 Küken werden jedes Jahr sinnlos getötet

Nachdem im Frühjahr 2019 das Urteil zur Weiterführung der betäubungslosen Ferkelkastration die Tierschützer erschüttert hat, gibt es nun ein weiteres Urteil eines Obersten Gerichtes, dass heftige Diskussionen ausgelöst hat.

Männliche Küken dürfen wie bisher nach der Geburt durch schreddern und vergasen getötet werden.

Der Hintergrund

Die Kreise in Nordrhein-Westfalen hatten diese seit Jahrzehnten allgemein übliche Praxis des töten der männlichen Küken auf Weisung des zuständigen nordrhein-westfälischen Ministeriums untersagt. Der Kreis Gütersloh und der Kreis Paderborn (Beklagte) hatten jeweils gegenüber einem Betreiber von Brütereien in ihrem Kreisgebiet (Kläger) entsprechende Untersagungsverfügungen erlassen. Das Verwaltungsgericht Minden gab den Klagen der Betreiber der Brütereien statt.

Die gegen diese Urteile eingelegten Berufungen der beiden Kreise hat das OVG wurden zurückgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung nur im Ergebnis bestätigt.

Gemäß § 1 Satz 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Das Tierschutzgesetz schützt – anders als die Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin. Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten. Anders als Schlachttiere werden die männlichen Küken zum frühestmöglichen Zeitpunkt getötet. Ihre „Nutzlosigkeit“ steht von vornherein fest. Zweck der Erzeugung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Küken aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung ist allein die Aufzucht von Legehennen. Dem Leben eines männlichen Kükens wird damit jeder Eigenwert abgesprochen. Das ist nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes, für einen Ausgleich zwischen dem Tierschutz und menschlichen Nutzungsinteressen zu sorgen.

Alternativen zum töten der Küken

Um die Praxis des Küken tötens zu beenden, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit circa fünf Millionen Euro die Entwicklung von Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Brut-Ei gefördert, um männliche Küken nicht erst ausbrüten zu müssen.

Derzeit wird an zwei Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Brut-Ei gearbeitet, das spektroskopische und das endokrinische. Das Ziel beider Analyseverfahren ist es, dass männliche Tiere gar nicht erst schlüpfen. Die Eier werden dann als Tierfutter verwendet. Beim Ersten müssen die Eier etwa vier Tage lang bebrütet sein, um sie untersuchen zu können. Mithilfe eines Lasers wird das Ei dann analysiert. Das Geschlecht des sich entwickelnden Kükens kann anhand des reflektierten Lichts bestimmt werden.

Das endokrinische Verfahren wird bereits genutzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Leipzig stellten es im vergangenen Jahr vor. Dabei wird nach etwa neun Tagen im Brutschrank ein winziges Loch in die Schale des Eis gebrannt und etwas Flüssigkeit entnommen. Diese lässt sich recht zuverlässig auf Geschlechtshormone testen.

Vor allem der Supermarktkonzern Rewe verkauft bereits Eier im Großraum Berlin, die mithilfe des endokrinischen Verfahrens – auch Seleggt-Methode genannt – getestet wurden. Bis zum Jahresende sollen diese sogenannten Respeggt-Eier bundesweit angeboten werden. Dabei handelt es sich aber nicht um die Eier mit männlichen Küken. Diese eignen sich nicht zum Verzehr, weil sie bereits im Brutschrank lagen. Ein Respeggt-Ei stammt von den geschlüpften weiblichen Geschwistern. Sie werden als Legehennen großgezogen.

Laut Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) könnte die Seleggt-Methode schon ab 2020 flächendeckend zum Einsatz kommen. Klöckner sieht darin die Möglichkeit, dass Tierschutzgesetz einzuhalten, indem keine männlichen Küken mehr schlüpfen, die dann getötet würden. Die bebrüteten Eier können noch als Futtermittel in der Landwirtschaft verwendet werden.

Hier stellen sich wiederum einige Fragen. Was macht die Landwirtschaft mit 45.000.000 Eiern, die nicht zum menschlichen Verzehr geeignet sind? An welche Tierarten sollen die verfüttert werden? Welche Folgeprobleme ergeben sich daraus?

Ab welchem Zeitpunkt gesteht man dem ungeborenen Vogel ein Schmerzempfinden zu? Studien klären das nicht schlüssig auf. Bislang divergiert die wissenschaftliche Meinung zum Zeitpunkt des Schmerzempfindens bei Hühnerembryonen. Die Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass vor dem siebten Bebrütungstag keine Empfindungsfähigkeit vorliegt und sicherlich ab dem 15.Tagvon einem Schmerzempfinden ausgegangen werden kann. Zwischen dem siebten und 15. Tag gehen hingegen die Meinungen der Wissenschaftler noch auseinander, in Abhängigkeit davon, auf welche Studien sie sich berufen.

Zweinutzung

Nach Auffassung der ÖTZ (gemeinnützigen Ökologischen Tierzucht gGmbH, eine Initiative von Bioland und Demeter) ist ein Huhn ein Zweinutzungshuhn, wenn beide – also Hahn und Henne – reduzierte Leistungen haben und sich wirtschaftlich selber tragen können.

Die Idee des sogenannten Zweinutzungshuhn erinnert an Zeiten, in denen Hühner noch auf Bauernhöfen frei umherliefen: „Ein Huhn, das Eier legt und später perfekt für einen Sonntagsbraten geeignet ist, war nichts Außergewöhnliches in Omas guten alten Zeiten, aber andererseits war die hohe Leistung der heutigen Hybrid-Hühner damals undenkbar“.

Doch dann kommt auch schon der Haken: Mit bis zu 50 Prozent höheren Kosten müssen die Züchter beim Futter rechnen. Die Eier sind kleiner, zudem lässt die Legeleistung der weiblichen Hühner schneller nach. Deren männliche Pendants sind in der Fleischproduktion denen unterlegen, die auf Fleischansatz gezüchtet werden.

Es gibt aber auch zu denken, dass Henne nach einer Legeperiode, wenn sie in die Mauser kommen, bzw. mit 11-16 Monaten aussortiert und geschlachtet werden. „Normale“ Hühner können über 10 Jahre alt werden, was bei den Legehybriden aus der Massentierhaltung wegen der extremen Überzüchtung hinsichtlich einer hohen Legeleistung aber leider meist nicht der Fall ist. Die Lebenserwartung dieser Hochleistungshennen ist daher oftmals kürzer, als die eines „normalen“ Huhns, d.h. mit 3-5 Jahren muss man schon mal mit ihrem Ableben rechnen, da die körperlichen Ressourcen durch die angezüchtete ständige Eierproduktion schneller verbraucht werden.

Bruderhahn

Um das Küken töten zu vermeiden, wurde 2012 die Bruderhahn Initiative Deutschland (BID) von einigen Naturkostgroßhändlern und Demeter-Landwirten gestartet. Grundidee ist, für jede eingestallte Henne einen entsprechenden Hahn aufzustallen und bestmöglich zu mästen. Da die Hähne jedoch nur langsam Fleisch ansetzen, brauchen sie viel Zeit (16-25 Wochen) und Futter bis zur Schlachtung, was natürlich kostenintensiv ist. Die Mehrkosten zahlen die Kunden über einen Zuschlag für die eigens gelabelten Eier. Inzwischen machen 29 Bauern und neun Großhändler mit, die die Eier überwiegend an norddeutsche Bio-Läden liefern. Neben der Bruderhahn Initiative setzen einige weitere Landwirte das Bruderhahn-Modell ebenfalls nach diesem System in regionalen Zusammenschlüssen oder als einzelne Markenprodukte auf ihren Betrieben um. Die Bauern der Bruderhahn Initiative verstehen sich dabei jedoch als „Symptombekämpfer“ bis es eine grundlegend alternativ gezüchtete Legehenne mit gut mästbare Bruder gibt (Zweinutzungshuhn).

Kommentar

Nachdem die Fleischproduzierende Industrie lange Jahrzehnte mit staatlicher Förderung immer größere Mastanlage, mit immer produktiveren Hühnern für einen weiterwachsenden Markt (also für uns, die Verbraucher der Hühner und Eier), entwickelt hat, ist nun ein, wenn auch noch sehr sanfter, Gegenwind spürbar. Seit 17 Jahren ist der Tierschutz Staatsziel, bis zur Verwirklichung dieses Zieles werden noch Jahrzehnte vergehen. In der Zeit von 2002 bis 2017 ist der Pro-Kopf-Konsum an Eiern in Deutschland von 209 pro Jahr auf 235 gestiegen. Deutsche Konsumenten kaufen ihre Eier dabei am häufigsten in den zahlreichen Discountern ein. Während der Verbrauch an Schweinfleisch leicht rückläufig ist, stieg der Verzehr von Hühnerfleisch in den letzten Jahren an. Und wo Bedarf ist, gibt es einen Markt. Wo ein Markt ist, gibt eine Lobby, die ihre Ansprüche verteidigt.

Der Aufschrei in der Bevölkerung war groß, als das Urteil bekannt wurde. Würden genau diese Menschen konsequent auf den Konsum von Produkten verzichten, die unter ethisch nicht vertretbaren Umständen hergestellt werden, würde die Nachfrage sinken.

Sinkt nun die Nachfrage, so werden automatisch weniger Küken bebrütet und weniger Küken getötet. Wir haben es also in der Hand, in dem wir die Nachfrage nach billigen tierischen Erzeugnissen durch unseren Konsum regeln. Ist es wirklich nötig sich täglich mit tierischem Protein zu versorgen?

Ach, Sie essen nur Bio? Auch in der Biobranche existiert die Diskrepanz zwischen Tiernutzung, Wirtschaftlichkeit und Tierwohl. Auch diese Tiere sind letztendlich zum Verzehr durch uns produziert und führen bis dahin zwar ein besseres Leben, als ihre Freunde in der Massentierhaltung. Doch wirklich tiergerechte Nutzung von Tieren ist wohl ein Widerspruch in sich, der schon bei der Haltung von geliebten Hunden, Katzen, Pferden und Heimtieren nicht zu realisieren ist.

Susanne Kirsten, Tierheilpraktikerin

Quellen

https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2018/171-BMEL_Seleggt-Methode.html, abgerufen am 20.06.2019

https://www.bundestag.de/resource/blob/525618/02fc07ec955e3e2a1830c9ca38e2a1ff/wd-8-030-17-pdf-data.pdf

https://www.bruderhahn.de/oetz_newsletter-1709_mail.pdf, abgerufen am 20.06.2019

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